Die Errichtung von zwei neuen Werken in Nord- und Südamerika hat ThyssenKrupp fast die Existenz gekostet. In naher Zukunft dürfte dem Konzern der Ausstieg aus dem Abenteuer gelingen, die Bilanzrelationen sind nach der fehlgeschlagenen Expansion aber sehr angespannt. Die Aktie sollte man trotzdem im Blick behalten, ein Doppel-Tief deutet an, dass das das Schlimmste überstanden sein könnte. Für ein Investment ist es aber noch zu früh.
Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet – so kann man den Expansionsversuch von ThyssenKrupp in Amerika zusammenfassen. Mit zwei neuen Werken in Brasilien und den USA wollte der Konzern den amerikanischen Flachstahlmarkt aufrollen, doch das Vorhaben wurde zum Desaster. Die Kosten liefen völlig aus dem Ruder, am Ende musste mit rund 12 Mrd. Euro wesentlich mehr investiert werden als geplant, und die neuen Werke verursachten im Prozess des Hochfahrens enorme Verluste. Schließlich musste das Management die Notbremse ziehen: Die Anlagen wurden in mehreren Schritten wertberichtigt – auf den aktuell geschätzten Marktwert von 3,4 Mrd. Euro – und zum Verkauf gestellt.
Denn der Konzern hatte seine Belastungsgrenze erreicht. Per 31. März 2013 summiert sich das Eigenkapital nur noch auf 3,6 Mrd. Euro oder 9,5 % der Bilanzsumme – ein außergewöhnlich schwacher Wert für ein Dax-Unternehmen. Dem stehen Finanzschulden von 9,3 Mrd. Euro gegenüber, zudem lasten auf der Gesellschaft Pensionsverpflichtungen in Höhe von 7,75 Mrd. Euro. Damit hat ThyssenKrupp keinen Spielraum mehr, um die Werke in Amerika fortzuführen. Im letzten Jahr wurde daher ein Verkaufsprozess gestartet, der nach aktuellen Unternehmensangaben „in Kürze“ abgeschlossen werden soll. Die Abschreibungen in Höhe von 683 Mio. Euro im ersten Halbjahr 2012/13 sollen damit die letzten sein, das Management will zumindest den aktuellen Buchwert in Höhe von 3,4 Mrd. Euro erlösen.
Das wäre für ThyssenKrupp ein Befreiungsschlag, der zu einer deutlichen Reduktion der Schulden führen könnte. Dennoch ist es recht wahrscheinlich, dass der Konzern zeitnah auch noch eine Kapitalerhöhung durchführt, um den finanziellen Spielraum zu erhöhen. Verstärkt werden sollen insbesondere die Aktivitäten im Technologiebereich, das Stahlgeschäft wird hingegen nicht weiter ausgebaut. Hier hat ThyssenKrupp schon in den letzten zwölf Monaten kräftig desinvestiert, um die Abhängigkeit von der schwankungsfreudigen Stahlkonjunktur zu reduzieren.
Und die jüngsten Zahlen geben dem Management durchaus Recht. So musste die Sparte Steel Europa in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres 2012/13 einen Umsatzrückgang um 12 % auf 4,8 Mrd. Euro hinnehmen und war mit einem EBIT von 39 Mio. Euro (Vorjahr 132 Mio. Euro) nur noch knapp profitabel. Besser entwickelten sich hingegen die technologieaffinen Segmente. Der Umsatz im Bereich Industrial Solutions erhöhte sich binnen Jahresfrist um 9 % auf 2,7 Mrd. Euro – allerdings bei einem leicht rückläufigen EBIT –, während das Geschäft mit Aufzügen sowohl bei den Erlösen (+ 9 % auf 2,9 Mrd. Euro) als auch beim operativen Gewinn (+15 % auf 315 Mio. Euro) zulegen konnte. Zusammen mit einem rückläufigen Geschäft in den Bereichen Components (vor allem wegen Unternehmensverkäufen) und Material Services (wegen der schwachen Konjunktur) reduzierte sich der Konzernumsatz insgesamt um 14 % auf 20 Mrd. Euro, das EBIT ist mit -0,5 Mrd. Euro (Vorjahr -0,6 Mrd. Euro) erneut tiefrot ausgefallen. Allerdings…
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